BGH: Auch der gemäß § 278 Abs. 6 ZPO gerichtlich festgestellte Vergleich ersetzt die notarielle Beurkundung
Dienstag, 14. März 2017
Bestimmte Rechtsgeschäfte wie z. B. der Verkauf von Grundstücken oder GmbH-Geschäftsanteilen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der notariellen Beurkundung. § 127 a BGB ordnet an, dass die notarielle Beurkundung bei einem gerichtlichen Vergleich durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung errichtetes Protokoll ersetzt wird. Sollen im Rahmen eines gerichtlichen Vergleiches Grundstücke oder GmbH-Anteile übertragen werden, so war bislang streitig, ob der Vergleich in einem Termin zur mündlichen Verhandlung vor Gericht protokolliert werden muss oder ob die notarielle Form auch bei einem Vergleichsschluss im schriftlichen Verfahren gemäß § 278 Abs. 6 ZPO gewahrt wird.
Nach der in Rechtsprechung und Literatur bislang wohl vorherrschenden Ansicht wurde die Anwendbarkeit des § 127 a BGB auf gemäß § 278 Abs. 6 ZPO abgeschlossene Vergleiche abgelehnt, weil keine hinreichende "Funktionsäquivalenz" zwischen einer notariellen Beurkundung und dem Beschlussvergleich bestehe. Die mit einer notariellen Beurkundung verbundenen Verfahrensgarantien für die am Vergleichsschluss Beteiligten seien im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO nicht gewahrt und es fehle an einer Verfahrensgestaltung, die einer Beratung durch den Notar vergleichbar sei, weil keine Beratung oder Warnung durch den Richter erfolge (vgl. OLG Celle FamRZ 2014, 795, 796; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 1192, 1193; Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 278 Rn. 31; Musielak/Voit/Foerste ZPO 13. Aufl. § 278 Rn. 18a).
Nach anderer Ansicht soll § 127 a BGB zumindest dann auf im Verfahren nach § 278 Abs. 6 abgeschlossene Vergleiche anwendbar sein, wenn dem Vergleich ein vom Gericht begründeter Vergleichsvorschlag zu Grunde lag, denn diesem gehe eine gerichtliche Prüfung voraus, die mit der eines Notars vergleichbar sei (OLG München FamRZ 2011, 812, 813; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 37. Aufl. § 278 Rn. 17).
Schließlich gab es auch Stimmen, wonach auch ein Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 ZPO ein vollwertiger gerichtlicher Vergleich sei und daher entsprechend § 127 a BGB die notarielle Beurkundung stets ersetze (OLG Brandenburg FamRZ 2014, 1202, 1204; OLG Frankfurt FamRZ 2016, 548 [Ls.] und Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 5 UF 105/10 - juris Rn. 4; OLG Naumburg FamRZ 2009, 617 [LS]; MünchKommZPO/Prütting 5. Aufl. § 278 Rn. 44; Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 75. Aufl. § 278 Rn. 59).
Mit Beschluss vom 1. Februar 2017 hat sich der Bundesgerichtshof nunmehr der letztgenannten Auffassung angeschlossen (XII ZB 71/16 –, juris). Zwar stehe der Wortlaut des § 127 a BGB einer unmittelbaren Anwendbarkeit entgegen, aber es lägen die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 127 a BGB vor, eine planwidrige Regelungslücke und ein vergleichbarer Sachverhalt:
Zunächst legt der BGH eingehend dar, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Als § 127 a BGB mit Wirkung zum 1. Juni 1970 in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen wurde, gab es den Vergleichsabschluss gemäß § 278 Abs. 6 ZPO noch nicht, dieser wurde erst mit Wirkung zum 1. Januar 2002 eingeführt. Dass der Gesetzgeber § 127 a BGB dann weder im Rahmen des Zivilprozessreformgesetzes noch anlässlich der Ergänzung von § 278 Abs. 6 ZPO im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 24. August 2004 geändert hat, steht, so der BGH, der Annahme einer nachträglich entstandenen Regelungslücke nicht entgegen. Weder der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Zivilprozessrechts vom 24. November 2000, noch die Beschlussempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses zu diesem Gesetzentwurf gingen auf die Frage ein, ob der Beschlussvergleich auch eine nach materiellem Recht erforderliche notarielle Beurkundung ersetzt. Gleiches gelte für die Gesetzesbegründung zum 1. Justizmodernisierungsgesetz. Aus den genannten Gesetzesmaterialien werde jedoch der eindeutige Wille des Gesetzgebers erkennbar, den Beschlussvergleich in seinen Wirkungen einem gerichtlich protokollierten Vergleich in vollem Umfang gleichzustellen. Aus dem Umstand, dass der Wortlaut des § 127 a BGB auch nach der Einführung und Erweiterung des § 278 Abs. 6 ZPO unverändert geblieben ist, könne daher nicht auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers geschlossen werden, den Beschlussvergleich vom Anwendungsbereich des § 127 a BGB auszunehmen (worauf schon das BAG in NJW 2007, 1831 Rn. 31 hingewiesen hatte). Die unterbliebene Anpassung der Vorschrift beruhe vielmehr darauf, dass der Reformgesetzgeber den durch die Einführung des Beschlussvergleichs nachträglich entstandenen Regelungsbedarf nicht erkannt habe.
Auch die zweite Voraussetzung für eine Analogie, die Vergleichbarkeit der Sachverhalte, ist nach Auffassung des BGH gegeben. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. So lägen die Dinge hier.
Die Bedenken, dem Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO fehle es an der erforderlichen "Funktionsäquivalenz" zu einer notariellen Beurkundung, werden vom BGH ausdrücklich nicht geteilt. Die Vorschriften des Beurkundungsgesetzes richteten sich nur an den beurkundenden Notar (§ 1 Abs. 1 BeurkG) und an andere für öffentliche Beurkundungen zuständige Urkundspersonen oder Stellen (§ 1 Abs. 2 BeurkG), nicht aber an die Gerichte. Der Gesetzgeber habe mit der Vorschrift des § 127 a BGB den seinerzeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Grundsatz aufgegriffen und gesetzlich anerkannt, dass ein prozessrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommener Vergleich jegliche materiell-rechtlich für ein Rechtsgeschäft geforderte Form ersetzt. Daher sei es nicht erforderlich, dass im gerichtlichen Verfahren die für eine notarielle Beurkundung maßgeblichen Anforderungen eingehalten werden, sondern es reiche aus, dass die einschlägigen prozessrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Entscheidend ist damit allein, ob der Beschlussvergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO einem ordnungsgemäß protokollierten Vergleich soweit entspricht, dass eine entsprechende Anwendung des § 127 a BGB gerechtfertigt ist.
Diese Frage wird vom BGH bejaht. Bereits aus den Gesetzesmaterialien zum Zivilprozessrechtsreformgesetz ergebe sich, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Beschlussvergleichs nur eine erleichterte Möglichkeit zur Verfügung stellen wollte, ein Gerichtsverfahren durch Vergleich zu beenden. In seinen Wirkungen sollte der Beschlussvergleich einem gerichtlich protokollierten Vergleich vollständig gleichgestellt sein.
Diese Absicht des Gesetzgebers finde sich im geltenden Recht wieder. So unterscheide etwa § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht danach, ob der Vergleich gerichtlich protokolliert oder im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt wurde. Für andere Vorschriften wie § 492 Abs. 3 Halbsatz 2 ZPO oder § 118 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 ZPO, die nach ihrem Wortlaut einen gerichtlich protokollierten Vergleich voraussetzen, sei bereits anerkannt, dass der Vergleich auch nach § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen werden kann. Der Gesetzgeber habe mittlerweile auch für § 491 Abs. 4 BGB ausdrücklich klargestellt, dass ein nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellter Vergleich einem protokollierten Vergleich entspricht.
Schließlich erfülle das Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO auch die mit einer notariellen Beurkundung verbundenen Schutzzwecke in gleicher Weise wie die gerichtliche Protokollierung eines Vergleichs. Soweit eine Vorschrift des materiellen Rechts die besondere Form der notariellen Beurkundung erfordert, diene dies regelmäßig dem Zweck, die an dem Rechtsgeschäft beteiligten Parteien vor Übereilung zu schützen und durch die Beurkundung den Beweis der getroffenen Vereinbarung zu sichern. Zudem sollen die Vertragsparteien auf die besondere Bedeutung des Rechtsgeschäfts hingewiesen und über die Konsequenzen der getroffenen Vereinbarung belehrt werden. Hinsichtlich des mit einer notariellen Beurkundung verbundenen Übereilungsschutzes und der Beweisfunktion bestünden zwischen einem gerichtlich protokollierten und einem im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleich keine relevanten Unterschiede.
Der Schutz der Beteiligten vor einer übereilten Entscheidung sei im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO sogar meist besser gewährleistet als bei der Protokollierung eines gerichtlichen Vergleichs im Rahmen einer mündlichen Verhandlung, denn im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO werde den Beteiligten vor dem Vergleichsschluss entweder ein Vorschlag des Gerichts übermittelt oder die Parteien haben selbst einen Vergleichsvorschlag erarbeitet und bei Gericht eingereicht. In beiden Fällen hätten die Beteiligten die Möglichkeit, die beabsichtigte Vereinbarung ausführlich und ohne Zeitdruck, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme rechtlicher Beratung, zu prüfen. Bei einem protokollierten Vergleich würden die Beteiligten hingegen oft erstmals in der mündlichen Verhandlung den Vergleichstext zur Kenntnis nehmen können, um dann noch in der mündlichen Verhandlung entscheiden zu müssen, ob sie den Vergleich annehmen. Der Beschlussvergleich biete daher – hierauf hatte bereits das BAG in NJW 2007, 1831 hingewiesen - jedenfalls keinen geringeren Schutz vor übereilten Entscheidungen als ein gerichtlich protokollierter Vergleich.
Die Beweisfunktion einer notariellen Urkunde wird beim Protokollvergleich durch die Aufnahme der Erklärungen in das Protokoll (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), die Genehmigung des Protokolls nach Verlesung oder Vorspielen der vorläufigen Aufzeichnung (§ 162 Abs. 1 ZPO) und der Unterzeichnung des fertiggestellten Protokolls durch den Vorsitzenden und den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 163 ZPO) erreicht, im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO geschieht dies durch den gerichtlichen Beschluss, mit dem das wirksame Zustandekommen und der Inhalt der getroffenen Vereinbarung deklaratorisch in einer öffentlichen Urkunde iSv § 415 Abs. 1 ZPO festgestellt werden. Auch dies rechtfertigt aus Sicht des BGH keine unterschiedliche Behandlung.
Schließlich könne einer entsprechenden Anwendung des § 127 a BGB auch nicht entgegengehalten werden, bei der Feststellung eines Vergleichs im Beschlusswege nach § 278 Abs. 6 BGB sei die mit dem Beurkundungserfordernis verbundene Beratungs- und Warnfunktion für die Beteiligten nicht ausreichend gewährleistet. § 127 a BGB stelle den protokollierten gerichtlichen Vergleich der notariellen Beurkundung gleich, ohne besondere Belehrungspflichten für das Gericht vorzusehen, Voraussetzung für die formersetzende Wirkung sei allein das prozessrechtlich ordnungsgemäße Zustandekommen des Vergleichs. Die Pflichten, die das Gericht im Rahmen der Vergleichsprotokollierung treffen, bestimmten sich daher nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung. Weitergehende Belehrungspflichten, wie sie § 17 BeurkG für die notarielle Beurkundung vorsieht, bestünden im Rahmen einer Vergleichsprotokollierung allenfalls, wenn das Gericht darüber entscheidet, ob es Vereinbarungen der Beteiligten protokollieren will, die über den Streitgegenstand hinausgehen. Wenn der Vergleich hingegen lediglich Regelungen in Bezug auf den Streitgegenstand enthält, prüfe das Gericht nur, ob der unterbreitete Vergleich nicht gegen die guten Sitten, gesetzliche Verbote oder die öffentliche Ordnung verstößt. Dieselbe Prüfungskompetenz obliege dem Gericht auch im Zuge der Feststellung des Zustandekommens des Vergleichs im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO. Zudem handele es sich bei § 17 BeurkG lediglich um eine Soll-Vorschrift, deren Verletzung nicht zur Formunwirksamkeit der beurkundeten rechtsgeschäftlichen Erklärungen führt.
Es spiele auch keine Rolle, ob der Vergleichsvorschlag vom Gericht stammt oder von den Parteien zur Feststellung vorgelegt wurde. Zwar möge es zutreffen, dass das Gericht einen von ihm vorgeschlagenen Vergleich erläutert und den Beteiligten damit eine bessere Entscheidungsgrundlage bietet, zwingend sei dies jedoch nicht. Außerdem würden in § 278 Abs. 6 ZPO beide Möglichkeiten des Vergleichsschlusses gleichgestellt, so dass sich schon aus diesem Grund eine differenzierte Betrachtung der formersetzenden Wirkung verbiete, die danach unterscheidet, ob der Vergleichsschluss auf einem Vorschlag des Gerichts oder der Beteiligten beruht.
Nach alledem ist festzuhalten, dass die Streitfrage, ob die notarielle Form auch bei einem Vergleichsschluss im schriftlichen Verfahren gemäß § 278 Abs. 6 ZPO gewahrt wird, vom Bundesgerichtshof mit einem beherzten „Ja“ beantwortet wurde.