In der vergangenen Woche hielt Dr. Lars Siebert, LL.M. (Emory) den Einführungsvortrag zum „17. Berchtesgadener Dialog - Artificial Intelligence“ mit dem Titel „Heilsbringerin oder Gefahrenquelle? Ein Blick auf künftige KI-Anwendungen und internationale Regulierungsbemühungen“.
Papier-, Hybridakte oder rein elektronisch? Eine Einschätzung zu den aktuellen Referentenentwürfen zur Digitalisierung in der Justiz
Dienstag, 28. November 2023
Zwei in den letzten Wochen veröffentlichte Referentenentwürfe des Bundesministeriums der Justiz sollen durch Änderungen im Prozessrecht dafür sorgen, dass Probleme bei der Digitalisierung der Justizkommunikation und der elektronischen Aktenführung innerhalb der Justiz sowie bei der Zwangsvollstreckung beseitigt werden.
Der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz (Stand 25. Oktober 2023, abrufbar über https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2023_Weitere_Digitalisierung_Justiz.html) will durch „Rechtsanpassungen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung“ „die bereits fortgeschrittene Digitalisierung in der Justiz in allen Verfahrensordnungen“ weiter fördern. Die inhaltlichen Regelungen sind allerdings teilweise darauf ausgerichtet, Vorgänge von der Digitalisierung zu befreien, bei denen sich eine elektronische Fassung nur schwer oder offenbar noch gar nicht erstellen lässt, obwohl der gegenwärtige Wortlaut der Prozessvorschriften dies vorsieht.
So ist vorgesehen, dass Dokumente und Aktenteile, die nach den Verschlusssachenanweisungen des Bundes oder der Länder als Verschlusssache höher als VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestuft sind, noch über den bisher vorgesehenen 31. Dezember 2025 hinaus für weitere zehn Jahre in Papierform erstellt, geführt und übermittelt werden können. Für die ZPO ist dies über einen neu formulierten § 43 des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung vorgesehen. In diesen Fällen soll auch die Führung einer Akte in hybrider Form mit den nicht eingestuften Aktenbestandteilen in elektronischer Form und den eingestuften Bestandteilen in Papierform zugelassen werden. Damit soll technischen Problemen bei der Umsetzung der bisher vorgesehenen Verpflichtung zur ausnahmslos elektronischen Übermittlung und Aktenführung von besonders vertraulichen Verschlusssachen Rechnung getragen werden. Gleiches ist durch entsprechende Regelungen im Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung und auch in den anderen Verfahrensordnungen vorgesehen. Es ist allerdings zu hoffen, dass möglichst bald eine entsprechend sichere und dem Schutzcharakter der Dokumente angepasste Technik entwickelt wird, um nicht in diesem Bereich noch 12 Jahre auf Papier arbeiten zu müssen.
Bisher sehen die Prozessordnungen (etwa § 298a Abs. 1 und 2 ZPO, § 32a StPO, § 14 FamFG, § 46e ArbGG, § 55b VwGO, § 65b SGG und § 52b FGO) nach dem 1. Januar 2026 nur die Möglichkeit zur Nachdigitalisierung bestehender Aktenteile und die Fortführung als elektronische Akte oder aber die Weiterführung der Altakte als Papierakte vor. Nun soll in einem neuen § 298a Abs. 3 ZPO bzw. in einem neuen § 32 Abs. 1a StPO und in den anderen Verfahrensordnungen geregelt werden, dass die Bundesregierung und die Landesregierungen jeweils für ihren Bereich durch Rechtsverordnung bestimmen können, dass Akten, die vor dem 1. Januar 2026 in Papierform angelegt wurden, ab einem bestimmten Stichtag oder Ereignis in elektronischer Form weitergeführt werden. Insoweit soll also eine Hybridakte zulässig sein.
Die geplante Neuregelung will auch berücksichtigen, dass die in den Gesetzen vorgesehene Schriftform teilweise Schwierigkeiten auslöst, wenn sie elektronisch ersetzt werden soll bzw. die Anforderungen an die elektronische Form in der Praxis kaum erfüllbar sind.
Bisher reicht es für die Wirksamkeit nicht aus, dass der von der Partei in Papierform unterzeichnete Antrag eingescannt und der Scan von einer/einem bevollmächtigten Rechtsanwältin/Rechtsanwalt mit ihrer/seiner eigenen qualifizierten elektronischen Signatur versehen bzw. durch sie/ihn einfach signiert über das beA (besonderes elektronisches Anwaltspostfach) eingereicht wird. Privatpersonen verfügen allerdings nur selten über eine qualifizierte elektronische Signatur, um den in Papierform unterzeichneten Antrag elektronisch wirksam werden zu lassen. Der Gesetzentwurf will hier im Interesse einer möglichst umfassenden elektronischen und medienbruchfreien Kommunikation Abhilfe schaffen. So ist vorgesehen, durch einen neuen § 130e ZPO die wirksame Abgabe und den wirksamen Zugang von empfangsbedürftigen Willenserklärungen zu erleichtern. Etwa soll eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die der gesetzlich oder rechtsgeschäftlich bestimmten materiell-rechtlichen Schriftform oder elektronischen Form bedarf, fiktiv so behandelt werden, als wenn sie die vorgegebene Form eingehalten hätte. Voraussetzung ist dann, dass ein/e Anwältin/Anwalt das eingescannte Dokument der Partei in einem Schriftsatz über das beA bei Gericht einreicht und dieses dem Empfänger zugestellt oder formlos mitgeteilt wird.
Auch für das Strafverfahren sind Regelungen geplant, die dafür sorgen sollen, dass die Digitalisierung der Arbeit nicht daran scheitert, dass Bürgerinnen und Bürger bestimmte Instrumente nicht nutzen können oder nutzen wollen, etwa die qualifizierte elektronische Signatur. So soll zukünftig auch für einen Strafantrag (falls er für die Strafverfolgung Voraussetzung ist) nicht mehr die Einhaltung der Schriftform bzw. des elektronischen Äquivalents nach § 32a StPO maßgeblich sein, sofern die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person aus der Erklärung und den Umständen ihrer Abgabe eindeutig ersichtlich sind (§ 158 Abs. 2 StPO neu).
Neu geregelt werden soll schließlich die Anbindung des OZG-Organisations-(„Unternehmens“-)Kontos an das EGVP (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach), also die Nutzung des Unternehmenskontos im Verwaltungsportalverbund für die Kommunikation mit den Gerichten über das Onlinezugangsgesetz (OZG). Geregelt ist bereits die Anbindung des OZG-Bürgerkontos an das EGVP (§ 130a Abs. 4 Nr. 5 ZPO): Bürger/innen müssen die elektronische Identität ihres Personalausweises, des Aufenthaltstitels oder der Karte für Unionsbürger und Angehörige des Europäischen Wirtschaftsraums für die Kommunikation mit den Gerichten einsetzen, wenn sie ihr Nutzerkonto im Verwaltungsportal hierfür nutzen wollen. Für Unternehmen soll zukünftig das Elster-Identifikationsverfahren nach § 87a Abs.6 AO gelten, § 13 Abs. 1 Nr. 2 ERVV n.F.
Ein (anderer) Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Zwangsvollstreckung (Stand 19. September 2023, abrufbar über https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2023_Digitale_Zwangsvollstreckung.html) zielt darauf ab, im Vollstreckungsverfahren die Zahl hybrider Anträge zu reduzieren.
Einerseits sind seit dem 1. Januar 2022 Rechtsanwältinnen/Rechtsanwälte, Behörden und weitere juristische Personen des öffentlichen Rechts dazu verpflichtet, Vollstreckungsaufträge an Gerichtsvollzieher und Anträge an Vollstreckungsgerichte als elektronische Dokumente zu übermitteln. Anderseits wird die vollstreckbare Ausfertigung weiterhin ausschließlich in Papierform erteilt und muss als Grundlage für die Vollstreckung auch grundsätzlich in Papierform vorgelegt werden. Deshalb hat sich die Anzahl der Aufträge und Anträge in hybrider Form bei den Vollstreckungsorganen stark erhöht. Dies führt zu hohem Zeitaufwand, wenn die Ausfertigung erst dem Vollstreckungsauftrag beim Gerichtsvollzieher zugeordnet werden muss. Der vorgesehene Gesetzesvorschlag will ermöglichen, sowohl die vollstreckbare Ausfertigung als auch weitere Papierurkunden, die dem Nachweis der Vollstreckungsvoraussetzungen dienen, elektronisch zu übermitteln. Das soll ausreichen, um bestimmte Befugnisse und Pflichten des Gerichtsvollziehers zu begründen (§§ 754, 755, 757 und 802a ZPO neu). Auch sollen etwa Anwälte in der Kommunikation mit dem Gerichtsvollzieher auch das beA nutzen können (§ 753 Abs. 7 ZPO neu).
Bisher nur als „Erwägung“ kündigt das Bundesjustizministerium an, bei formularmäßig einzureichenden Anträgen auf Erlass von Durchsuchungsanordnungen und von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen sowie bei den beizufügenden Beschlussentwürfen (§§ 758a Abs. 6 und 829 Abs. 4 ZPO) eine Pflicht für Rechtsanwält/innen, Inkassounternehmen und Behörden einzuführen, die in diese Formulare eingetragenen Daten als XJustiz-Datensatz zu übermitteln. Dies soll eine effektive Weiterverarbeitung der Formulare in den Gerichten ermöglichen.
Mit Spannung ist zu erwarten, ob und gegebenenfalls welche Änderungen die Gesetzentwürfe im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erfahren werden.