Im letzten Jahr haben wir bereits über die europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und ihre weitreichenden Implikationen für Unternehmen berichtet. Mit diesem Beitrag möchten wir Ihnen ein Update zu den neuesten Entwicklungen rund um die Lieferkettensorgfalt und zu den aktuellen Anpassungen der Richtlinie geben.
Was lange währt, … - das Hinweisgeberschutzgesetz ist da
Wednesday, 17. May 2023
Nach langem Ringen hat die Bundesregierung unter Einschalten des Vermittlungsausschusses auf der Grundlage der Beschlussempfehlung vom 09.05.2023 (Drs. 20/6700) die letzte parlamentarische Hürde für das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, das sogenannte Hinweisgeberschutzgesetz (BT-Drs. 20/3442, 20/3709, 20/4909, 20/4910 und 20/5688), genommen. Damit wird die am 23.10.2019 beschlossene EU-Richtlinie 2019/1937 auch in Deutschland in nationales Recht umgesetzt. Noch im Sommer ist mit der Verkündung zu rechnen, sodass die längst überfällige Kodifizierung in Kraft tritt; die Umsetzungsfrist war bereits am 17.12.2021 abgelaufen.
Mit den neuen Regelungen sollen Beschäftigte, die auf Missstände in ihren Unternehmen oder einer Behörde aufmerksam machen, vor Entlassung oder anderen möglichen Repressalien geschützt werden. Gleichzeitig soll ein in Europa allgemeiner und standardisierter Schutz für solche hinweisgebenden Personen erreicht werden, der ergänzend zu spezialgesetzlichen Regelungen zu verstehen ist.
Der nun zuletzt zwischen Bundesregierung und Opposition ausgehandelte Kompromiss betrifft zahlreiche Punkte, die in Unternehmen eine Rolle spielen, u. a. die Bearbeitung von anonymen Meldungen, denen nun doch nicht zwingend nachgegangen werden muss, was sich gleichwohl empfiehlt. Ferner müssen nunmehr Möglichkeiten geschaffen werden, dass eventuelle Verstöße gegen Gesetz oder unternehmensinterne Richtlinien - bevorzugt - einer internen Meldestelle angezeigt werden sollen, zumindest soweit intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann. Bislang waren sogenannte externe Kanäle, wie z. B. Meldungen an das Bundesamt für Justiz, als gleichrangig eingestuft worden. Damit war einem Hinweisgeber ein Wahlrecht eingeräumt, welchen Meldekanal er nutzen will. Dieses ist nunmehr insoweit eingeschränkt, als dass Unternehmen nicht mehr damit rechnen müssen, durch falsche oder aufgebauschte Vorwürfe öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Dazu sollten sie aber rasch zumindest einen niedrigschwelligen, funktionierenden internen Meldeweg einrichten und betreiben.
Allgemeine Anforderungen
Bereits die große Koalition hat 2020 einen Gesetzesentwurf vorbereitet, auf den die jetzige Fassung gründet. Hier sind folgende wesentliche Bedingungen festgelegt:
- Unternehmen mit einer Betriebsgröße von mehr als 50 Mitarbeitern haben die Pflicht, eine interne Meldestelle einzurichten. Unterbleibt es oder wird sie nicht betrieben, ist mit einer Geldbuße von bis zu EUR 20.000 zu rechnen. Die genaue Gestaltung dieser Meldestelle bleibt den Unternehmen überlassen. Sie reicht vom reinen Briefkasten bis zum IT-gestützten Meldesystem, das auch eine Kommunikation mit anonymen Hinweisgebern ermöglicht.
- Das Gesetz bestimmt allerdings, dass diese interne Meldestelle, deren Mitarbeiter unabhängig sein und über die notwendige Fachkunde verfügen sollen, prüft, ob der Gegenstand einer Meldung in den weiten Anwendungsbereich des Gesetzes fällt, stichhaltig ist und eventuelle Folgemaßnahmen zu ergreifen sind. Gleichzeitig kümmert sie sich um die Kommunikation mit der hinweisgebenden Person, welche spätestens sieben Tage nach Eingang eine entsprechende Bestätigung erhalten muss. Nach weiteren drei Monaten ist ihr eine Rückmeldung zu geben, in welcher Weise hier entsprechende Maßnahmen ergriffen worden sind.
- Das Einhalten dieser formalen Voraussetzungen empfiehlt sich für die Unternehmensleitung sehr. Denn es ist anzunehmen, dass regelmäßig intern Abhilfe bei Kenntnis eines Missstands im Unternehmen besteht, insbesondere wenn sich herausstellen sollte, dass dieser durch Verstöße gegen Gesetz oder unternehmensinterne Richtlinien begleitet ist. Die Organvertreter haften für solche Verstöße entweder wegen Organisations- oder Überwachungsverschulden. Daher ist es in deren Interesse, möglichst rasch Kenntnis über potenzielles Fehlverhalten zu erlangen und zu verhindern, dass weiterer Schaden für das Unternehmen entsteht. Dazu gehört auch, dass sich eine hinweisgebende Person doch noch an eine externe Stelle wendet. Damit könnte dann ein möglicher Vorwurf bald öffentlich werden können. Der Rufschaden wiegt regelmäßig schwer.
- Besonders wichtig ist der Schutz der hinweisgebenden Person, welche bereits in jedem Unternehmen, unabhängig von der Betriebsgröße, bestehen muss. Der Kern ist der Schutz vor möglichen Repressalien im beruflichen Umfeld, namentlich bei Entlassungen, unterbliebenen Gehaltserhöhungen oder sonstigen möglichen benachteiligenden Maßnahmen. Im Zweifel hat das Unternehmen zu beweisen, dass es als Arbeitgeber sachliche Gründe für eine zunächst als Benachteiligung empfundene Personalmaßnahme hatte.
- Unternehmen sind zum einen Erleichterungen gestattet, als dass es eine Meldestelle auch mit anderen Unternehmen zusammen, insbesondere mit Tochter- und Schwestergesellschaften des gleichen Konzerns, einrichten kann. Zur weiteren Unterstützung können für die Aufgaben der Meldestelle auch externe Rechtsanwälte als Ombudspersonen zur Aufnahme von Hinweisen oder als sog. Vertrauensanwälte eingeschaltet werden, um ggf. eine Folgeneinschätzung eines Hinweises zu geben. Das wird regelmäßig erforderlich sein, wenn die Aufklärung eines Sachverhalts nur durch eine aufwändige interne Untersuchung möglich ist.
Konkrete Auswirkungen für Unternehmen in Folge
Unternehmen sollten sich darauf einstellen, dass ab der zweiten Hälfte des Jahres 2023 eine allgemeine Verpflichtung zum Einrichten einer internen Meldestelle in jedem größeren Unternehmen besteht.
Das Gesetz birgt allerdings einige Fallstricke, die trotz erheblicher Hinweise aus dem Kreise der Sachverständigen (wozu der Autor dieses Beitrags zählt) und verschiedener Politiker nicht ausgeräumt worden sind. Die damit verbundenen Probleme werden dann den Unternehmen zur Lösung überlassen, namentlich
- Klärung der Unabhängigkeit der mit den Aufgaben einer internen Meldestelle betrauten Personen, insbesondere mit Rücksicht auf Einleiten und Koordinieren von Untersuchungen zur Sachverhaltsaufklärung und damit verbundener datenschutzrechtlicher Aspekte, besonders mit Rücksicht auf eventuell zu Unrecht von einer Meldung verdächtigten Person(en).
- Mögliche stringente Dokumentation von Personalmaßnahmen, mit denen eine hinweisgebende Person glaubt, im Zusammenhang mit ihrer Meldung benachteiligt worden zu sein.
- Schutz von durch eine Meldung verdächtigten dritten Mitarbeitern und sonstigen Personen, insbesondere bezüglich bei Verletzen der Vertraulichkeit ihrer Identität.
- Verfolgung und Abwehr von möglichen Schadensersatzforderungen der hinweisgebenden Person oder anderen Mitarbeitern des Unternehmens bzw. geschädigten Dritten wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte.
Es ist zu erwarten, dass sich mit der Zeit hier eine entsprechende Linie der Rechtsprechung ergibt, die sich an bereits bestehenden Gesetzen zum ausdrücklichen Schutze von Arbeitnehmern, wie z. B. dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz von 2006 wegen eines zu bemessenden immateriellen Schadensersatzes, orientieren dürfte. Aber gleichzeitig wird man erwarten dürfen, dass zumindest für materielle Schadensersatzforderungen eine Orientierung an Gesetzen, die die EU-Gesetzgebung umsetzt, erfolgen wird; danach soll die Höhe vor allem abschreckend ausfallen, was dazu führt, dass der Schadensersatz meist erheblich höher ausfällt als er sonst in der nationalen Rechtsprechung angesetzt wird.
Allerdings lassen sich mögliche Nachteile in der Prozess- und Beweisführung bereits durch eine vorausschauende und vorbeugende betriebliche Praxis ausschließen. Hierzu können wir entsprechende Empfehlungen geben. Denn das Gesetz ist als allgemeiner Standard zu verstehen. Bereits im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das seit Anfang 2023 gilt, ist ein Beschwerdeverfahren geregelt, das in vielen Teilen der vom Hinweisgeberschutzgesetz vorgesehenen Meldestruktur entspricht. Unternehmen mit einer Betriebsgröße von mehr als 1.000 Mitarbeitern sind daher gut beraten, ein einheitliches Hinweisgeberschutzsystem, das auch den Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gerecht wird, zu schaffen (spätestens ab 01.01.2024). Zudem ist zu erwarten, dass auch in Zukunft weitere bereichsspezifische Gesetze mit Complianceregeln auf eine grundlegende Struktur zur Behandlung des Schutzes von hinweisgebenden Personen zurückgreifen. Damit gewinnt dieses Thema an Bedeutung und erfüllt die Erwartungen an eine gute Unternehmensführung, welche bereits bei börsennotierten Aktiengesellschaften die Regel ist.