Im letzten Jahr haben wir bereits über die europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und ihre weitreichenden Implikationen für Unternehmen berichtet. Mit diesem Beitrag möchten wir Ihnen ein Update zu den neuesten Entwicklungen rund um die Lieferkettensorgfalt und zu den aktuellen Anpassungen der Richtlinie geben.
Praxistipp: Lieferkettenprobleme - Welcher Kunde bekommt die Ware?
Wednesday, 23. March 2022
Pacta sunt servanda („Verträge sind zu einhalten“). Der aus dem römischen Recht stammende Grundsatz der Vertragstreue gilt auch in Krisenzeiten. Wie aber sollen sich Unternehmen verhalten, wenn sie sich mehreren Kunden gegenüber verpflichtet haben, es jedoch zu Störungen in der Lieferkette kommt und nicht alle Vertragspartner im vollen Umfang beliefert werden können?
Muss der vorhandene Vorrat dann paritätisch aufgeteilt werden? Kann das Unternehmen selbst entscheiden, wen es mit welchen Mengen beliefern will? Oder gilt das Motto: First come, first served? Unter Juristen ist diese Frage umstritten.
Seit der Entscheidung „Zuckerfabrik“ des Reichsgerichts im Jahr 1914 ging man mehrheitlich davon aus, dass der Schuldner verpflichtet ist, die Forderungen seiner Gläubiger anteilig gerecht zu befriedigen („Repartierungspflicht“). Die Kunden würden eine „Interessengemeinschaft“ bilden, in der einzelne nicht benachteiligt werden dürften. Diese Ansicht wird schon lange kritisiert. Der Schuldner solle freie Hand bei der Entscheidung haben, welche Gläubiger er zuerst bediene, entgegnen Teile der Wissenschaft und Rechtsprechung. In der Tat sprechen gute Gründe dafür, sich diesem Standpunkt anzuschließen. Eine besondere Rücksichtnahmepflicht zugunsten Dritter ist dem BGB nicht zu entnehmen. Anders als etwa im Insolvenzrecht befinden sich die Gläubiger eines solventen Schuldners nicht in einer gesetzlichen Zwangsgemeinschaft. Nur vereinzelt finden sich ansonsten im Gesetz Vorschriften, die von einer solidarischen Gemeinschaftspflicht ausgehen, wie zum Beispiel in § 588 HGB, eine Regelung aus dem Seefrachtrecht, wonach im Falle eines schweren Seeunfalls die dadurch entstandenen Schäden und Aufwendungen von den Beteiligten gemeinschaftlich getragen werden müssen. Ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip lässt sich aus einer einzelnen Vorschrift für Schäden in der Seeschifffahrt aber für alle Fälle Höherer Gewalt keineswegs ableiten.
Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls sinnvoll, nicht alleine aus dem Bauch heraus zu entscheiden, welcher Kunde wie viele Waren erhält. Vielmehr erscheint es ratsam, sämtliche bestehenden Vertragsverhältnisse auf den Prüfstand zu stellen und auf Vertragsstrafenregelungen, Höhere-Gewalt-Klauseln und Selbstlieferungsvorbehalte zu untersuchen, um im Ernstfall eine bedarfsgerechte Entscheidung treffen zu können.
Sollten Sie entsprechenden Herausforderungen gegenüberstehen, unterstützen wir Sie gern!