Die Globalisierung hat unsere Welt in den letzten Jahrzehnten in vielerlei Hinsicht verändert, auch in Bezug auf den internationalen Handel und die Lieferketten von Unternehmen. Um der Herausforderung im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechten, Umwelt- und ethischen Standards gerecht zu werden und eine verantwortungsvollere Unternehmensführung zu fördern, entwickelt die Europäische Union die sogenannte Europäische Lieferkettenrichtlinie, auch bekannt als Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD).
Die europäische Lieferkettenrichtlinie - ein Update
Thursday, 27. June 2024
Im letzten Jahr haben wir bereits über die europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und ihre weitreichenden Implikationen für Unternehmen berichtet (vgl. Die Europäische Lieferkettenrichtlinie - ein Ausblick). Mit diesem Beitrag möchten wir Ihnen ein Update zu den neuesten Entwicklungen rund um die Lieferkettensorgfalt und zu den aktuellen Anpassungen der Richtlinie geben.
Der deutsche Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schlug Anfang Juni 2024 die Aussetzung des schon geltenden deutschen Lieferkettengesetzes (LkSG) bis zur Umsetzung der europäischen Richtlinie vor. Die beiden Regelugen verfolgen dieselben Ziele und konkretisieren, in welcher Form Unternehmen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten erfüllen müssen. Er meinte, dass man das geltende deutsche Gesetz aussetzen solle, um Unternehmen von den bisher durch das deutsche LkSG geltenden Rechenschafts- und Sorgfaltspflichten bis zum Inkrafttreten der europäischen Richtlinie zu entlasten und damit Wettbewerbsnachteilen im Binnenmarkt entgegenzuwirken. Doch was erwartet uns konkret mit der aktuellen Fassung der Richtlinie?
Die Richtline wurde im März 2024 erneut angepasst und im Mai 2024 formal verabschiedet. Der Anwendungsbereich der CSDDD umfasst nunmehr Unternehmen und Konzerne in der EU mit mindestens 1.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 450 Millionen Euro jährlich. Zusätzlich erfasst sie außereuropäische Unternehmen, die Produkte in der EU verkaufen. Im Kern bezieht sie sich auf die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen und den Schutz vor Umweltschäden.
Es werden sowohl die vorgelagerten (upstream) als auch die nachgelagerten (downstream) Aktivitätsketten eines Unternehmens erfasst, eingeschlossen sind Tätigkeiten von Tochterunternehmen. Die Richtlinie schließt somit die gesamte Lieferkette ein. Sorgfaltspflichten müssen aktiv in die Unternehmenspolitik einbezogen, sowie Risikomanagementsysteme für Lieferketten geschaffen werden. Es muss eine Lieferkettenstrategie und eine entsprechende Sorgfaltspflichten-Policy entwickelt und regelmäßig angepasst werden. Diese muss ggf. auch mit den Beschäftigten und ihren Vertretern besprochen und bestimmt werden, bevor sie erstellt wird. Im Risikomanagement müssen etwaige Auswirkungen von Complianceverstößen in der Lieferkette ermittelt und bewertet werden. Basierend auf diesen Ergebnissen sollen geeigneten Maßnahmen abgeleitet und im Unternehmen umgesetzt werden.
Dabei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, wie z. B. die Ursachen etwaiger negativer Auswirkungen und der Einfluss des Unternehmens auf die Lieferkette bzw. den individuellen Geschäftspartner. Es gibt verschiedene Maßnahmen, die ergriffen werden können, bspw. die Entwicklung eines Korrekturmaßnahmenplans, Einholung vertraglicher Zusicherungen von Geschäftspartnern, erforderliche Investitionen und Anpassungen der Geschäftsstrategie oder die finanzielle bzw. organisatorische Unterstützung von KMU in der Lieferkette. Kooperationen mit anderen Unternehmen und die Leistung von Abhilfe für tatsächliche und negative Auswirkungen sind ebenfalls vorgesehen, bspw. durch eine (nicht-)finanzielle Entschädigung, die das Unternehmen einer oder mehreren von den tatsächlichen negativen Auswirkungen Betroffenen bereitstellt, und - soweit zutreffend - die Erstattung jeglicher den Behörden durch die Abhilfemaßnahmen entstandenen Kosten.
Sofern negative Auswirkungen nicht behoben werden können, müssen Unternehmen als letztes Mittel die Geschäftsbeziehung aussetzen oder beenden. Zuvor muss das Unternehmen bewerten, ob die durch die Aussetzung oder Beendigung verursachten negativen Auswirkungen schwerwiegender wären als die Folgen der Fortsetzung der Geschäftsbeziehung. Ist dies nicht der Fall, ist eine Aussetzung oder Beendigung nicht zwingend erforderlich, jedoch muss die Fortsetzung hinreichend begründet werden. Die Entscheidung muss laufend überprüft werden. Weiterhin schreibt die Richtline eine sinnvolle Einbeziehung von Interessensgruppen vor.
Jeder Mitgliedstaat bestimmt eine oder mehrere Aufsichtsbehörden, die die Einhaltung der Verpflichtungen aus den relevanten Artikeln überwachen. Für Unternehmen mit eingetragenem Sitz in einem Mitgliedstaat sind die Aufsichtsbehörden dieses Staates zuständig. Für Unternehmen ohne eingetragenen Sitz, aber mit Zweigstellen in einem Mitgliedstaat, sind die Behörden des Staates zuständig, in dem der größte Teil des Nettoumsatzes erzielt wird.
Natürliche und juristische Personen können bei jeder Aufsichtsbehörde begründete Bedenken melden, wenn sie vermuten, dass ein Unternehmen gegen die Regelungen verstößt. Personen, die begründete Bedenken geltend machen, haben Zugang zu den Gerichten oder unabhängigen Stellen zur Überprüfung der Entscheidungen der Aufsichtsbehörden.
Die Mitgliedstaaten können Sanktionen für Verstöße gegen nationale Vorschriften erlassen, basierend auf der Richtlinie. Diese müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Hierbei kann es sich um Zwangsgelder handeln oder, falls dem Zwangsgeldbeschluss vom Unternehmen nicht Folge geleistet wird, um eine öffentliche Erklärung, in der das verantwortliche Unternehmen und die Art des Verstoßes genannt werden. Zwangsgelder richten sich nach dem weltweiten Nettoumsatz des Unternehmens und betragen mindestens 5 % des weltweiten Nettoumsatzes im vorherigen Geschäftsjahr oder können bei bestimmten Unternehmen auf dem konsolidierten Umsatz der obersten Muttergesellschaft basieren. Solche Verstöße können auch durch öffentliche Auftraggeber als Teil von Vergabekriterien berücksichtigt werden.
Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass ein Unternehmen dafür haftbar gemacht werden kann, wenn es seine in der Richtlinie festgelegten Pflichten vorsätzlich oder fahrlässig verletzt hat. Die Kausalität im Sinne der zivilrechtlichen Haftung wird nicht gesondert in der Richtlinie geregelt. Es gelten vielmehr die jeweiligen Kausalitätsregeln im nationalen Zivilrecht, allerdings mit der Ausnahme, dass die Unternehmen nicht haftbar gemacht werden sollen, wenn der Schaden lediglich von den Geschäftspartnern in den Aktivitätsketten der Unternehmen verursacht wird.
Betroffene haben Anspruch auf vollständige Entschädigung, die keine Überkompensation beinhalten darf. Verjährungsfristen für Schadensersatzklagen betragen mindestens fünf Jahre und beginnen nicht vor Ende des Verstoßes und bevor der Kläger Kenntnis des Schadens und des Verursachers hat. Die Verfahrenskosten dürfen Kläger nicht unverhältnismäßig belasten, müssen aber abschreckend sein. Betroffene können Gewerkschaften oder NGOs zur Klagevertretung ermächtigen. Unterlassungsmaßnahmen können beantragt werden. Unternehmen haften auch, wenn sie an Initiativen teilnehmen oder unabhängige Überprüfungen durchführen. Soweit der Schaden gemeinsam verursacht wurde, haften Unternehmen gemeinsam mit Tochterunternehmen oder Geschäftspartnern.
Die Entwicklungen in diesem Bereich bleiben interessant. Ob die Aussetzung des deutschen LkSG tatsächlich erfolgt, bleibt abzuwarten. Unternehmen sollten sich jedenfalls auf die Einführung der Richtlinie bzw. deren baldige Umsetzung in nationales Recht vorbereiten.