Es ist noch immer rechtlich nicht vollständig geklärt, ob die Nutzung urheberrechtlich geschützten Contents zum Zwecke des KI-Trainings von der Schrankenregelung für das sogenannte Text and Data Mining (TDM-Schranke) erfasst ist. Das Landgericht Hamburg hat in seinem Urteil vom 27.09.2024 (AZ 310 O 227/23) festgestellt, dass jedenfalls das Herunterladen von urheberrechtlich geschützten Bildern zur Erstellung von Datensätzen, die für KI-Training verwendet werden können, eine nach der Schrankenregelung des § 60d Abs. 1 UrhG zulässige Vervielfältigung darstellen kann.
„Augen auf!“ Street Photography – noch legal oder schon illegal?
Freitag, 28. August 2015
Der Titel einer aktuellen Fotografieausstellung in Berlin zum Thema 100 Jahre Kleinbildfotografie bringt auf den Punkt, was Juristen derzeit rund um das Thema Fotografie bewegt:
1. Auf Betreiben des Bundesjustizministers wurde Anfang diesen Jahres § 201 a des Strafgesetzbuchs dahingehend verschärft, dass nunmehr auch bestraft wird, wer unbefugt eine Bildaufnahme einer Person einem Dritten zugänglich macht, wenn diese Bildaufnahme „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“.
2. Das europäische Parlament diskutiert darüber, ob die sogenannte „Panoramafreiheit“ (also das Recht des Fotografen, von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen aus auch solche Bauwerke fotografieren zu dürfen, für die Urheberrechtschutz besteht) europaweit eingeschränkt werden soll.
3. Immer häufiger müssen sich Zivilgerichte mit Klagen von Personen (beileibe nicht nur Prominenten) beschäftigen, die wegen der Herstellung oder Verbreitung von Fotografien ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sehen.
Auch wenn der Angriff auf die Panoramafreiheit im europäischen Parlament zunächst einmal abgewendet zu sein scheint, bieten diese Entwicklungen Anlass genug, die „Augen aufzumachen“ und nachzusehen, welche Bedeutung dies für die Fotografie und hier vor allem für den Bereich der sogenannten Street Photography hat.
So wie die Erfindung der Kleinbildkamera seinerzeit das Medium Fotografie revolutionierte, indem sie das Fotografieren – für damalige Verhältnisse – schnell, handlich und preiswert machte, so nehmen wir seit ein paar Jahren an einer weiteren, der digitalen Revolution teil: Spätestens seit Erfindung der Smartphones hat nahezu jeder jederzeit eine Kamera dabei, und das bei praktisch unbegrenztem Speicherplatz. Wenn sich mit der Erfindung der Kleinbildkamera die Fotografie vom Studio gelöst und die Welt draußen entdeckt hat, so hat die Digitalisierung dafür gesorgt, dass heute Menschenscharen auf den Wegen trampeln, die früher einige wenige Pioniere allein gelaufen sind. Und so wie zunehmender Straßenverkehr nach strikteren Verkehrsregeln verlangt, ist es dann nicht plausibel, dass auch der Einsatz der Kamera strengeren Vorgaben unterworfen werden muss?
Nunmehr macht sich also nach § 201a StGB strafbar, wer ein Foto, das er von einer anderen Person gemacht hat, einem Dritten zugänglich macht, wenn dieses Foto „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“. Dass das Zeigen „unbefugt“ sein muss, hilft nicht viel weiter, denn unbefugt heißt im Prinzip, dass keine Einwilligung vorliegt, und wenn eine Einwilligung eingeholt würde, läge ja keine Street Photography mehr vor, sondern eine gestellte Straßenszene.
Professionelle Photographen, welche sich dieser Art der Fotografie verschrieben haben, können sich zwar auf den Ausnahmetatbestand des § 201 a Abs. 4 StGB berufen, wonach die Tat nicht strafbar ist bei „Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen“. Außerdem hat der Bundesrat, der nach dem Grundgesetz in Deutschland bei der Gesetzgebung mitwirkt, den Entwurf des Bundesjustizministers immerhin noch insoweit „entschärft“, als dass nicht schon die Herstellung einer solchen Aufnahme bestraft wird, sondern erst der nächste Schritt, wenn die Aufnahme einem Dritten zugänglich gemacht wird. Am Ende bleibt es allerdings dabei, dass in letzter Konsequenz zukünftig ein Strafrichter darüber entscheidet, ob ein Foto geeignet ist, dem Ansehen des Abgebildeten erheblich zu schaden – fragt sich nach welchen Maßstäben? – und, falls dies seiner Auffassung nach der Fall sein sollte, ob die Tat ausnahmsweise dennoch straflos ist, weil die Aufnahme dem Bereich der Kunst zuzuordnen ist. Wie viele Hobbyfotografen, für die das Kunstprivileg im Regelfall ja nicht gelten wird und die ihre Schnappschüsse gewohnheitsmäßig auf ihre Homepage einstellen, über Facebook posten oder anderweitig eine Aufnahme Dritten „zugänglich“ machen, mögen sich, ohne es zu wissen, seit Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits strafbar gemacht haben?
Aber auch im Bereich des Zivilrechts gibt es Entwicklungen, die Anlass zur Sorge geben, wie eine Entscheidung des Landgerichts Berlin, welche kürzlich vom Kammergericht im Ergebnis bestätigt wurde, exemplarisch belegt:
Bekanntlich war C/O Berlin nach dem erzwungenen Auszug aus dem Postfuhramt bis zum Abschluss der Bauarbeiten im Amerika Haus zeitweilig ohne Domizil. Um C/O Berlin am Leben zu erhalten, fanden vor dem Amerika Haus eine Reihe von Open-Air-Ausstellungen statt. Im Rahmen der Ausstellung „Ostkreuz. Westwärts. Neue Sicht auf Charlottenburg“ präsentierten Fotografen der Agentur Ostkreuz Aufnahmen, welche ihren Blick auf das alte und neue Charlottenburg illustrieren sollten.
Eines dieser Fotos zeigte eine Frau, welche die Hardenbergstraße in Charlottenburg überquert, ganz in der Nähe des Amerika Hauses. Im Hintergrund ist der Gebäudekomplex zu sehen, welcher mittlerweile abgerissen wurde und der damals neben einem preiswerten Hotel u. a. auch ein Pfandhaus beherbergte. Eine Frau in einer gewöhnlichen Alltagssituation. Eine typische Straßenszene aus Charlottenburg.
Die Abgebildete sah sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt, weil die Aufnahme ohne ihr Wissen getätigt und ohne ihr Einverständnis gezeigt wurde, und verlangte über einen Rechtsanwalt, das Foto unverzüglich zu entfernen. Dem Wunsch wurde entsprochen, das Foto aus der Ausstellung genommen. Doch damit war die Angelegenheit nicht erledigt, es folgte eine Klage auf Schmerzensgeld und Ersatz von Anwaltskosten.
Gemäß § 22 des Kunsturhebergesetzes (KUG) dürfen Bildnisse einer Person im Regelfall nur mit deren Einwilligung verbreitet werden. Von diesem Grundsatz macht § 23 Abs. 1 KUG bestimmte Ausnahmen, z. B. für sogenannte Personen der Zeitgeschichte (Politiker, Stars und „Sternchen“ usw.). Die hier relevante Ausnahme gilt nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG für Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern „deren Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient“.
Hier setzte die Klägerseite an und bestritt, dass es sich bei der angegriffenen Aufnahme überhaupt um „Kunst“ handele. Vielmehr liege ein bloßer Schnappschuss vor, dessen künstlerische Qualität im Zeitalter der Digitalfotografie nicht überbewertet werden dürfe. Auf die Tradition der Straßenfotografie könnte sich der Fotograf nicht berufen, denn dieser habe Hunderte von Fotos in kürzester Zeit angefertigt und später, vermutlich am Computer, eine Selektion vorgenommen und die allermeisten davon wieder gelöscht. Diese durch die Digitalfotografie ermöglichte Arbeitsweise unterscheide sich grundlegend von der ursprünglichen „Street Photography“. Deren Pioniere hätten lediglich Filmkameras zur Verfügung gehabt und seien daher gezwungen gewesen, sehr selektiv und mit deutlich niedrigerer Frequenz zu fotografieren. Aufgrund der sehr viel gezielteren und langsameren Vorgehensweise sei spätestens nach der Aufnahme ein Kontakt zu den Abgebildeten möglich und auch die Regel gewesen.
Fände diese Auffassung Anhänger und würde sich am Ende sogar durchsetzen, würde sich der Fotograf unter Umständen künftig sogar nach § 201 a StGB strafbar machen, denn auf die Kunstfreiheit könnte er sich ja nicht mehr berufen, weil seine Aufnahmen nicht mehr als Kunst zu gelten hätten. Die Technik der Digitalisierung bedeutete das Ende der Street Photography als Kunstform.
Doch so weit sind wir glücklicherweise noch nicht. Hiergegen steht schon der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene „weite“ Kunstbegriff, und auch Landgericht und Kammergericht haben sich nicht auf dieses „Minenfeld“ locken lassen, sondern haben unterstellt, dass das angegriffene Foto dem Bereich der Kunst zuzuordnen ist.
Allerdings gilt auch die Kunstfreiheit nicht grenzenlos. Die Kunstfreiheit zieht dem Persönlichkeitsrecht Grenzen, und umgekehrt begrenzt das Persönlichkeitsrecht die Kunstfreiheit. Im Konfliktfall müssen diese beiden von der Verfassung besonders geschützten Rechtsgüter gegeneinander abgewogen werden, wobei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Fall einer bloß geringfügigen Beeinträchtigung oder der bloßen Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit das Persönlichkeitsrecht zurücktreten muss.
In diesem Fall sind sowohl das Landgericht als auch das Kammergericht zu der Überzeugung gelangt, dass keine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, und sie haben aus diesem Grund die Zuerkennung des eingeklagten Schmerzensgeldes abgelehnt. Gleichwohl – und hier liegt der „Zündstoff“ dieser Entscheidungen – waren beide Gerichte der Auffassung, dass der Fotograf und C/O Berlin dieses Foto nicht, zumindest nicht in der erfolgten Art und Weise öffentlich zeigen durften, was rechtlich zur Konsequenz hatte, dass die Klägerin einen Teil ihrer Rechtsanwaltskosten ersetzt verlangen konnte.
Das Landgericht vollzog dabei eine klassische „Kehrtwende“. Während im ersten Teil der Entscheidung, wo es den Anspruch auf Schmerzensgeld prüfte, eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung zu Recht verneint wurde, weil das Bild die Klägerin – mit den Worten des Landgerichts - in einer gewöhnlichen Alltagssituation zeigt, so wie sie sich im öffentlichen Straßenraum bewegt, soll dieses Alltagsbild, soweit es um einen Unterlassungsanspruch und damit als Konsequenz einen Anspruch auf Ersatz von Anwaltskosten geht, doch eine hinreichend schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts begründen.
Das Landgericht meint in diesem Zusammenhang, dass die sogenannte Privatsphäre und nicht die Sozialsphäre der Klägerin betroffen sei. Nach deutschem Recht wird bei Fragen des Persönlichkeitsschutzes bekanntlich danach unterschieden, ob ein Eingriff in die sogenannte Individual- oder Sozialsphäre (der Mensch in seinen Beziehungen zur Umwelt), die Privatsphäre (das Privatleben im eigenen häuslichen Bereich oder an von der Öffentlichkeit abgeschirmten „Rückzugsorten“) oder sogar die Intimsphäre (welche die innere Gedanken- und Gefühlswelt sowie Angelegenheiten höchstpersönlicher Natur umfasst) erfolgt. Die Rechtsordnung gewährt diesen Sphären ein abgestuftes Schutzniveau, was sich bei der stets erforderlichen Abwägung auswirkt: Während die Intimsphäre praktisch umfassenden Schutz genießt, sind Eingriffe in die Individual- bzw. Sozialsphäre eher hinzunehmen.
Da sich die Klägerin im öffentlichen Straßenraum befand, ist schwer nachvollziehbar, warum vorliegend ihre Privatsphäre betroffen sein soll. Das Gericht verweist an dieser Stelle auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das allerdings einen ganz anderen Sachverhalt zum Gegenstand hatte, weil dort ein Prominenter, d. h. eine „Person der Zeitgeschichte“, auf Schritt und Tritt von Paparazzi verfolgt wurde. Aber der Vergleich hinkt: § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG, der auf (absolute oder relative) Personen der Zeitgeschichte Anwendung findet, schützt den legitimen Informationsanspruch der Öffentlichkeit: Die Abbildung ist hier „Mittel zum Zweck“, wenn kein legitimes Informationsinteresse besteht (also z. B. bei rein privaten Lebensvorgängen, die sich unter den in der BGH-Entscheidung genannten Voraussetzungen auch in der Öffentlichkeit abspielen können), ist die Verbreitung unzulässig. Anders im Anwendungsbereich von § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG. Hier ist die Abbildung nicht „Mittel zum Zweck“, sondern „Selbstzweck“, weil gerade die Abbildung selbst den Schutz der verfassungsrechtlich gewährleisteten Kunstfreiheit genießt. Folglich spielt deren „Nachrichtenwert“ keine Rolle. Wenn man § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG so einschränkend auslegt, wie dies das Landgericht tut, verbleibt für die Vorschrift praktisch kein Anwendungsbereich mehr, denn die Abgebildeten sind ja im Regelfall gerade keine Personen der Zeitgeschichte (wären sie es, griffe bereits § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ein) und die Situationen, in denen sie sich befinden, folglich stets private Lebensvorgänge. Es gäbe danach von vornherein keine Sozialsphäre mehr, weil jede Handlung, auch das Überqueren einer öffentlichen Straße, in diesem Sinne ein „rein privater Lebensvorgang ohne Öffentlichkeitsbezug“ wäre.
Überspitzt formuliert: Mit der Begründung des Landgerichts wird die Street Photography als Kunstform im Prinzip auf einen Schlag illegal.
Das Kammergericht hat diese Gefahr offensichtlich erkannt und seine Entscheidung deshalb auf einen anderen Gesichtspunkt gestützt. Die Richter urteilten, dass die Präsentation des Fotos im Rahmen einer Open-Air-Ausstellung anders zu beurteilen sei als bei einer in geschlossenen Räumen stattfindenden „klassischen“ Fotoausstellung, welche nur von Kunstinteressierten besucht wird. Wenn sich dieser Ansatz durchsetzt, entscheidet zukünftig die Organisation der Ausstellung darüber, ob die Präsentation eines Fotos rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Ein Foto, das in einem elitären Kunstzirkel ohne weiteres gezeigt werden darf, verwandelt sich zu einem rechtswidrigen Angriff auf das Persönlichkeitsrecht, wenn es auf die Straße getragen wird. Street Photography, die nur in geschlossenen Räumen stattfinden darf? Der Rechtsanwalt des Fotografen hat den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Man darf gespannt sein.
Diese „Damoklesschwerter“ schweben zukünftig über jedem Fotografen, der im Bereich der Street Photography tätig ist. Welche Auswirkungen dies auf diese Art der Fotografie hat, kann noch gar nicht abgeschätzt werden. Zwar ist nicht unbedingt zu befürchten, dass es in Zukunft spektakuläre Fälle der Verurteilung von Fotografen nach § 201a StGB geben oder massenhaft gegen bestehende Werke geklagt wird, aber allein die Angst vor möglichen juristischen Konsequenzen mag zu einer „Schere im Kopf“ führen, welche dafür sorgen wird, dass bestimmte Aufnahmen gar nicht erst gemacht oder zumindest nicht gezeigt werden. Wie viele ikonografische Werke der Street Photography wären unter diesen Rahmenbedingungen gar nicht erst entstanden?
(Der Beitrag ist die leicht gekürzte Fassung eines Essays, der zuerst in der C/O Berlin Zeitung Nr. 08 / 08.2015 / 5. Jahrgang erschienen ist sowie auf http://www.co-berlin.org.)