Es ist noch immer rechtlich nicht vollständig geklärt, ob die Nutzung urheberrechtlich geschützten Contents zum Zwecke des KI-Trainings von der Schrankenregelung für das sogenannte Text and Data Mining (TDM-Schranke) erfasst ist. Das Landgericht Hamburg hat in seinem Urteil vom 27.09.2024 (AZ 310 O 227/23) festgestellt, dass jedenfalls das Herunterladen von urheberrechtlich geschützten Bildern zur Erstellung von Datensätzen, die für KI-Training verwendet werden können, eine nach der Schrankenregelung des § 60d Abs. 1 UrhG zulässige Vervielfältigung darstellen kann.
Warhol, Kraftwerk und KI
Donnerstag, 08. Juni 2023
Auf den ersten Blick scheinen der 1987 verstorbene Künstler Andy Warhol, die Gruppe Kraftwerk und die aktuellen Debatten um Künstliche Intelligenz („KI“) wenig bis gar nichts miteinander zu tun zu haben. Doch wie so häufig trügt der Schein.
Dieser Tage stand zu lesen, dass der Nachlass von Andy Warhol vor dem US Supreme Court einen Urheberrechtsstreit gegen die US-amerikanische Fotografin Lynn Goldsmith verloren hat. Warhol, der u. a. für seine auf Basis bekannter Fotografien geschaffenen Siebdrucke von „Celebrities“ wie Marilyn Monroe, James Dean und Elvis Presley berühmt wurde, hatte einen Artikel im Magazin Vanity Fair über den Sänger Prince mit einem ebenfalls im Siebdruckverfahren erstellten Abbild des Sängers illustriert. Das Foto, das als Vorlage diente, hatte Lynn Goldsmith 1981 im Auftrag von Newsweek aufgenommen.
Vor dem US Supreme Court ging es nun um die Frage, ob Warhol dadurch das Urheberrecht der Fotografin verletzt hatte. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Nutzung durch Warhol noch als angemessen im Sinne der sog. fair use Doktrin hätte angesehen werden können. Damit lassen sich üblicherweise Nutzungen rechtfertigen, die z. B. zu Zwecken der Parodie, der öffentlichen Bildung oder Kritik erfolgen.
Die Mehrheit des Supreme Court entschied, dass es der vorliegenden Nutzung durch Warhol an einem solchen „transformativen“ Zweck fehle. Das von Warhol geschaffene Werk habe demselben Zweck gedient wie Goldsmiths Fotografie: den Sänger Prince in einem Magazin abzubilden. Dies unterscheide die Abbildung z. B. von Warhols legendärer Darstellung von Dosensuppen („Campbell’s soup“), wo es um einen künstlerischen Kommentar zu Konsumverhalten gegangen sei, der im diametralen Gegensatz stehe zu Werbezwecken.
Der dissentierenden Richterin Elena Kagan ist eine solche ausschließlich zweckbezogene Betrachtungsweise zu eng. Sie weist auf den künstlerischen Wert der Aneignung hin und schlägt dabei die Brücke vom Schriftsteller William Shakespeare über den Maler Édouard Manet bis hin zum Rockmusiker Nick Cave. Indem das Gericht die wichtige Bedeutung der transformativen Übernahme fremder Werke nicht anerkenne, verschließe es sich der Erkenntnis „how creativity works“. Nach der Mehrheitsmeinung solle es nur darauf ankommen, dass „Warhol and the publisher entered into a licensing transaction, similar to one Goldsmith might have done. Because the artist had such a commercial purpose, all the creativity in the world could not save him.”
Dies wiederum brachte ihr von der Mehrheit der Richter den Vorwurf ein, sie „sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht“. Einseitiges Abstellen auf den Wert des Kopierens ignoriere den Wert des Originals.
Wie wäre der Fall in Deutschland zu entscheiden? Hier ist abzugrenzen zwischen dem Recht zur Bearbeitung eines Werkes, welches gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG dem Inhaber des Urheberrechts zugeordnet ist, und dem Recht zur freien Benutzung nach § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG, sofern das neu geschaffene Werk einen „hinreichenden Abstand“ wahrt. Seit dem 7. Juni 2021 ist zusätzlich die Sonderregelung in § 51a UrhG für Parodien, Karikaturen und Pastiches zu beachten. Unter Pastiche ist laut Gesetzesbegründung eine Art der Nutzung zu verstehen, bei der eine Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder einem sonstigen Bezugsgegenstand erfolgt, ohne dass - in Abgrenzung zu Karikatur und Parodie - ein Ausdruck des Humors oder der Verspottung erforderlich ist. Stattdessen kann auch ein „Ausdruck der Wertschätzung oder Ehrerbietung für das Original“ enthalten sein, „etwa als Hommage“. Wie sehr sich der Gesetzgeber dabei auf der Höhe der Zeit wähnt, lässt sich daraus ableiten, dass er in der Gesetzesbegründung ergänzend Bezug nimmt auf „zitierende, imitierende und anlehnende Kulturtechniken“, die ein „prägendes Element der Intertextualität und des zeitgemäßen kulturellen Schaffens und der Kommunikation im ‚Social Web‘ seien“, wobei insbesondere an „Praktiken wie Remix, Meme, GIF, Mashup, Fan Art, Fan Fiction oder Sampling zu denken“ sei. In einer der ersten Entscheidungen zu § 51a UrhG beschreibt das Landgericht Berlin (Urteil vom 2. November 2021, 15 O 551/19, mit dem passenden Namen „The Unknowable“) den Pastiche als „einen kommunikativen Akt der stilistischen Nachahmung“.
Weiter ist ein Blick auf das sog. Sampling-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hilfreich, über das an dieser Stelle bereits berichtet wurde („Metall auf Metall" - Kraftwerk und die Kunstfreiheit). Dort ging es um die vom Rechteinhaber nicht gestattete Nutzung von sog. Samples (Teilen der Originalaufnahme) im Rahmen einer neuen Komposition. Die Verfassungsrichter entschieden, es lasse sich weder ein prinzipieller Vorrang des Eigentums vor der Kunstfreiheit noch umgekehrt ein prinzipieller Vorrang der Kunstfreiheit vor dem Eigentum aus der Verfassung herleiten. Jedes künstlerische Wirken bewege sich zunächst im Schutzbereich der Kunstfreiheit, gleich wie und wo es stattfindet. Ob die Kunstfreiheit im Einzelfall dann wegen der Beeinträchtigung insbesondere von Rechten Dritter zurücktreten muss, ist erst anschließend zu entscheiden. Dies ist eine deutliche Absage an das Argument, die Reichweite der Kunstfreiheit dürfe sich von vornherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden geistigen Eigentums zum Zwecke der künstlerischen Entfaltung erstrecken. Ob im Rahmen eines kreativen Prozesses die Übernahme von Vorbestehendem erlaubt ist, kann nur im jeweiligen Einzelfall durch Abwägung entschieden werden. Mit anderen Worten: Das Bundesverfassungsgericht ist deutlich näher an der „dissenting vote“ von Richterin Kagan.
Was hat das alles nun mit Künstlicher Intelligenz zu tun? Ob und zu wessen Gunsten Inhalte, die unter Zuhilfenahme von Künstlicher Intelligenz geschaffen wurden, urheberrechtlich geschützt sind („KI und Urheberrecht"), hängt entscheidend von dem Verständnis ab, „how creativity works“. Und diese Diskussion ist alles andere als abgeschlossen.